Freitag, 8.4.2016, 20.30 Uhr
Lager in Piräus/Athen
Piräus ist nicht so wie erwartet – und das ist gut so.
Statt einer chaotischen, unüberschaubaren Situation mit extrem schlechten Bedingungen für Geflüchtete finden wir an drei über den Hafen von Piräus verteilten Punkten Flüchtlingslager vor, die an den Oranienplatz in Berlin oder Notunterkünfte in bundesdeutschen Großstädten im letzten Jahr erinnern.
Die Menschen, darunter sehr viele Kinder und Säuglinge leben in kleinsten 2- 4 Menschzelten. Aufgebaut auf asphaltierten Freiflächen direkt am Pier der großen Fähren auf die griechischen Inseln, zum Teil errichtet in großen Lagerhallen leben 6000 Menschen auf engstem Raum unter freiem Himmel. Überall spielen Kinder. Ein kleine Freiluftschule ist aufgebaut. Es gibt eine städtische Müllabfuhr, Dixi-Klos, Essen in Portionen verpackt. Medizinische Anlaufstellen und Hebammenversorgung. Die Menschen wirken wenig angespannt. Einige Männer organisieren eine Demo (ein TV-Team ist gerade vor Ort) und fordern ihre Ausreise nach Deutschland.
Flüchtlingsschule
Gestern in Idomeni gab es „Verteilungskämpfe“ bei der Verteilung von Schuhen. Heute werden Rucksäcke an Familien einfach so verteilt und alle, die möchten, scheinen einen zu bekommen.
Aber eigentlich ist die Situation für diese Familien hoffnungslos und menschenunwürdig. Wieviel Kraft mag es kosten, unter diesen Bedingungen über Wochen, wenn nicht Monate miteinander zu leben. Mit welchen neuen Erfahrungen gehen diese Menschen irgendwann in eine neue Lebenssituation? Vielleicht birgt es die Chance, dass Menschen, die so etwas erlebt haben, später solidarischer miteinander umgehen. Toleranter, geduldiger? Und wir uns das abgucken können…
Und natürlich haben wir nur eine Momentaufnahme gesehen. Das Klassenzimmer, in dem auch nur 20 Kinder unterrichtet wurden, war später schon wieder abgebaut. Der Müll türmt sich trotz Müllabfuhr …
Helfer erzählen uns, dass jeden Tag mehr Menschen abreisen würden. Ein Regierungsvertreter geht mit Megafon auf einzelne Menschengruppe zu und fordert sie auf, in eines der offiziellen Lager außerhalb von Athen umzuziehen. Der Hafen soll freigemacht werden.
Wir suchen unsere Kontaktperson. Leider ist sie so beschäftigt, dass sie keine Zeit hat, uns einzuweisen oder gar zu begrüßen. Nach ein paar Stunden mit Beobachtung, Gesprächen, Sammeln von Informationen entschließen wir uns, für eine Entscheidungsfindung erstmal wieder zu unserem Wohnwagen auf einem Campingplatz im Industriegebiet zurückzukehren.
Dort entscheiden wir, dass wir hier nicht gebraucht werden. Nach Kommunikation mit der IHA (Intereuropean Human Aid Association – www.iha.help) haben wir drei neue Ideen:
- Es gibt einen unabhängigen Arzt, der in der Region von Idomeni kleinere Camps aufsucht und sich über unsere Mitarbeit sehr freuen würde. Insbesondere die Mütter, die Probleme mit dem Stillen hätten, könne er nicht richtig beraten.
- Es gibt eine NGO, die im großen Lager von Idomeini mit Hebammen und Kinderärztinnen kleine Räume in speziellen Zelten, sogenannten Domos (www.morethanshelters.org/de/domo/ ) schafft. Dort entstehen Stillräume für Mütter mit Babys. Auch diese Frauen würden sich sehr über Matthias und meine Mitarbeit freuen.
Und dann gibt es plötzlich noch eine dringende Anfrage aus einem Camp auf Chios, in dem 2000 Geflüchtete mit 10 Helfer_innen vor Ort sein sollen. Ob dies Menschen sind, die aus einem der abgeriegelten Hotspots (zur Vorbereitung der Abschiebung in die Türkei) vor einigen Tagen flüchten konnten, ist uns nicht klar. Vielleicht sind sie auch frisch auf der Insel eingetroffen.
Da diese Anfrage sehr dringend klingt, versuchen wir herauszufinden, wann die nächste Fähre von Athen nach Chios ausläuft. Da dies erst Sonntagnacht sein wird, entscheiden wir uns, morgen erstmal nach Idomeni zurückzufahren und dann vor Ort zu entscheiden, wie es weitergeht. Wir sind ein wenig frustriert, dass wieder ein Tag nur mit Sondierung der Lage zuende geht.
Vielleicht ist ein Gedanke, der unsere ganze Reise durchziehen wird der: Hast Du es eilig, gehe langsam!