Als wir heute morgen zu einer kleiner Unterkunft kommen (genauere Beschreibung geben wir hier nicht, damit die Menschen dort geschützt sind), kommt uns ein Mann entgegen mit der Frage: „Can we help you?“ Wir sind irritiert. Einen Moment sind die Rollen umgedreht, denn dass ist doch eigentlich unsere Frage an die Geflüchteten hier. Nach einer Weile kriegen wir eine Antwort gestammelt und kommen ins Gespräch. Der Mann ist gestern Nacht in die kleine Unterkunft eingezogen. Deswegen kannten wir uns noch nicht und er fragte nun, ob er uns helfen könne.
Gestern nachmittag waren wir bereits in der selben Unterkunft. Ein kleiner leerstehender Schuppen, ohne Fensterglas, viele Glasscherben und Müll türmen sich drumherum. Bis man in den „Wohnraum“ kommt knirscht und bricht fast unter jedem Schritt zerbrochenes Fensterglas. Drinnen wohnen 12 bis 15 Menschen aus Pakistan und Sri Lanka. Wir haben das Bedürfnis der Geflüchteten aufgegriffen und erklären eine Möglichkeit, Krätze zu therapieren. Wir bieten an, mit Essig und Wasser Waschungen zu organisieren. Wir schreiben auf, wer der Bewohner_innen (heute ist eine Frau darunter) welche Größe hat. Im warehouse (Lager der örtlichen Gruppe FreshResponse) packen wir für jedeN ein kleine grüne Plastiktüte mit Socken, Unterwäsche, T-shirt, Mütze und Handschuhe und beschriften sie mit Namen der Geflüchteten – all das, was im direkten Kontakt mit der Haut und mit der Krätze ist.
Heute sind wir da mit Sack und Pack: Je einer Tüte mit der frischen Kleidung, 5-Liter-Behälter Wasser, 3-Liter-Behälter Essig, neue Schlafsäcke, Wolldecken (gespendet von Ärzte ohne Grenzen) und vielen Plastiksäcken.
In einem meeting erfragen wir noch einmal den Wunsch der Geflüchteten, jetzt und heute die Krätze anzugehen. Wir erklären im Detail das Prozedere:
Zuerst „Wohnfläche“ aufräumen: Alle Decken und Schlafsäcke kommen in große Säcke und werden 4 Tage geschützt nach draußen gestellt (und mit Datum beschriftet). Danach sind sie wieder benutzbar.
Dann „Badezimmer“ herrichten: Die Geflüchteten schaufeln den Boden eines kleinen Nebenraums von den Unmengen zerbrochener Glasscheiben und Müll frei und richten dort hinter einer hängenden Fließdecke einen intimen Raum für das „Scabie-washing“ ein: Es gibt eine „saubere“ Fläche, wo die grünen Plastiktüten mit der frischen Kleidung abgestellt werden und eine „schmutzige“ Fläche, wo die mit Krätze befallene Kleidung gesammelt und jeweils von dem Besitzer in den geleerten grünen Plastikbeutel gegeben wird.
Danach gehen die Menschen in den provisorischen „Waschraum“ und reiben ihren Körper mit Essigwasser ab. EineR nach dem/der anderen. Bei dem Kommen-und-Gehen in der Unterkunft ist es gut, dass wir die grünen Beutel mit den Namen beschrifteten haben.
Nach dem Ankleiden mit frischer Unterwäsche können wir dann an jedeN einen neuen Schlafsack und eine neue Decke austeilen.
Nach gemeinsam getaner „Arbeit“, setzen wir uns alle zu einem Abschlusskreis zusammen und feiern unseren scabie-fight mit einer Tafel Schockolade, die dann auch irgendwie für alle reicht.
Wir lassen Essigwasser für den abendliche „scabie-wash“ zurück. Morgen kommen wir mit neuem Wasser und Essig zurück.
[Exkurs: Wir diskutieren, wie wir die Menschen, die wir jetzt unterstützen im Blog benennen sollen: Flüchtende, Geflüchtete, Menschen, Leute? Alles durcheinander oder im Wechsel? Andere Zusammenänge nennen sie migrants, migrant people.
Wir haben keine Lösung. Wundert euch also nicht, wenn die Begrifflichkeit im Blog zwischendurch wechselt. ;-)]