„Im Norden nichts Neues“

6.3.2017

Wir stehen nicht früh auf. Die letzten Tage haben wir die Sonnenaufgänge nahe einer Push-back-Zone verbracht. Wir haben Gruppen getroffen und versorgt, die es nicht durch den ersten Zaun geschafft hatten und deswegen unmisshandelt blieben. Wir haben Menschen getroffen und versorgt, die weiter gekommen waren und gefoltert wurden.

Wir haben auch festgestellt, dass die Frequenz der Bewegungen der Flüchtenden unregelmässig ist. Dementsprechend haben wir die letzten Tage eine sinkende Zahl bis auf null wahrgenommen. Wir beschließen deswegen, an diesem Tag auf unsere morgendliche Wacht zu verzichten.

Auf Grundlage unserer bisher gemachten Erfahrungen suchen wir noch einmal ein Grenzgebiet auf, in dem wir mögliche Lager von Flüchtenden vermuten. Wir erkunden das Gelände und kommen zu dem Schluss, dass dort in der letzten Zeit Gruppen nur kurz gelagert haben – wahrscheinlich auf ihrem nächtlichen Weg zum Grenzübertritt. Wahrscheinlich ist der Ort doch zu weit von existenzieller Grundversorgung entfernt.

Der Müll liegt dort von etlichen Vor-Bewohner_innen. Die jetzigen Bewohner haben freien Fussbodenplatz für Lagerung von Lebensmitteln geschaffen.

Dann eine SMS.

„Broken hand,hungarian police action, please help, some food.“

Wir sind 1,5 Fahrstunden entfernt, antworten aber sofort, dass wir uns auf den Weg machen.

Wir finden „unsere“ Gruppe vor, so wie es hier üblich ist. Mit 15 Personen ist die Gruppe gestern Abend über die Grenze gegangen. Heute vormittag wurden sie entdeckt. Danach drei Stunden Folter. Jeweils 3 Beamte für einen Flüchtenden. Danach Push-back und 2 Stunden humpelnd Rückkehr zum Ausgangspunkt.

2 Menschen der Gruppe sind in Ungarn verloren gegangen, 2 Flüchtende fahren wir ins Krankenhaus, 6  Flüchtende behandeln wir vor Ort, 5 Flüchtende sind unverletzt zurück.

Heute versorgen wir Hundebisse, Schlagstockschwellungen an Knien, Schultern, Handgelenken. Die Häufigkeit von Knie- und Handgelenksverletzungen lässt auf planmässiges Vorgehen der ungarischen Staatsschläger schließen.

 

Versorgung im Stehen, da Sitzen auf Grund der Knieverletzung nicht möglich ist.

Nach der Versorgung fallen die Flüchtenden in ihre Schlafstätten.

Im Krankenhaus wird bei einem Flüchtenden die Kopfwunde genäht, das massiv malträtierte Handgelenk geschient. Beide Flüchtende haben zum Glück keine Brüche und können das Krankenhaus wieder verlassen. Einer von uns begleitet sie die gesamte Zeit. Auch zur Polizei, die vom Krankenhaus gerufen worden war. (Normal bei Verletzungen durch Gewalt).

Auf der Fahrt zurück schlafen die Flüchtenden schon im Auto ein. Wir setzen sie ab, sie verschwinden.

Unser Tag endet um 2 Uhr.

 

 

Veröffentlicht unter 2017

Übergriffe- was fangen wir damit an?

Keine Einträge bedeuten nicht, dass nichts passiert.

Einige Dinge haben wir hier rausgefunden, die wir noch nicht veröffentlichen können.

Zwischen unseren Versorgungsfahrten für die Gruppen im Wald und den langen aufwändigen Einkäufen davor, der Koordination mit Fresh Response und anderen Aufgaben recherchieren wir, in wie weit die Folter an der/den ungarische(n) Grenze(n) von der kritischen Öffentlichkeit in Ungarn und anderswo bereits wahrgenommen und angeprangert wird.

Ein ganz aktueller Bericht des Hungarian Helsinki Committee von Anfang des Jahres prangert die Behandlung der Geflüchtenden und die Verweigerung von Unterstützung und Zugang zum Asylsystem an.

Darin wird resümiert:
„4. Recommendations
• The law legalizing push-backs, breaching Hungary’s legal obligations under international and European Union law, should be revoked.

• Police measures taken at the border should always be documented and
appropriate safeguards should be in place to guarantee the respect for
human rights. Subjects of police measures should be informed of their rights to complain and there should be an adequate complaint mechanism in place.

• Given Frontex’s role at the Hungarian-Serbian border, Frontex should make its findings public and should ensure that FRONTEX-operations play an active role in preventing and investigating the widespread violence at the Serbian-Hungarian border.

• Ensuring access to territory by expanding the capacity and opening times of the transit zones could divert irregular migration towards regular channels.“

Wir halten Frontex nicht für die geeignete Institution, um Übergriffe und Folter zu veröffentlichen oder auch solche inhumanen Maßnahmen aufzuklären.

Wenn wir groß träumen, denken wir an zivile Beobachter_innen, die die ungarische Polizei, ungarische Soldaten, private Wachdienste, border hunter (so werden gerade frisch ausgebildete Kräfte, die nicht der Polizei und dem Militär angehören, genannt) oder auch Frontex-Einheiten begleiten. Wenn es diese internationalen Beobachter_innen u.a. bei Wahlen gibt, warum nicht auch hier?

Unsere Berichte, zusammen mit anderen Artikel (hier ein ganz neuer Artikel vom 1.3.2017) haben einiges an Wirbel verursacht. Wir überlegen immer wieder neu, wie eine politische Arbeit gegen die menschenverachtenden Vorgänge an der Grenze aussehen könnten.

Wir halten möglichst viele Briefe, Beschwerden, oder auch Kontakt zu ungarischen Gruppen für einen wichtigen Hebel im Kampf gegen die Folter. Persönliche Besuche in der ungarischen Botschaft in Berlin oder bei den Konsulaten in Bremerhaven, Dresden, Erfurt, Essen, Hamburg, München, Nürnberg, Schwerin oder Stuttgart. Zeigt, dass wir nicht wegschauen und dass wir zumindest in diesem Fall wissen, dass die Ungarn vielleicht nur Erfüllungsgehilfen der Nord- und Mitteleuropäischen reichen Nationen sind, aber eine Poltik fahren, die nicht hinnehmbar ist.

Wer Kontakte nach Ungarn hat, möge sie bitte dringend nutzen!

Auch die politische Ebene in der EU, über Abgeordnete, parlamentarische Anfragen, Besuche von Abgeordneten an der Grenze könnten ein wichtiges Element sein.

Wir denken auch über Aktionen Zivilen Ungehorsams nach: Wie wäre es, es würde eine große öffentliche Unterschriftenkampagne gegen die Folter an Europas Grenzen geben und an mehreren Tagen würde diese Protestkampagne durch Direkte Aktionen an der ungarischen Grenze begleitet?
Vielleicht schaffen wir es nach unserer Rückkehr weiter daran rumzuspinnen – gerne auch mit euch zusammen.

Veröffentlicht unter 2017

Basisversorgung

Seit einigen Tagen haben wir Kontakt zu 3 Gruppen, die außerhalb von Subotica an unterschiedlichen Orten lagern. Es sind Orte, von denen sie aufbrechen, um einen heimlichen Grenzübertritt zu versuchen oder Orte, wo sie nach einem Push-back versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen. Diese Orte wechseln ständig, die Anzahl der Menschen dort schwankt jeden Tag zwischen 5 und 32. Auch die Treffpunkte wechseln immer wieder.

Wenn wir eine Nachricht erhalten, besorgen wir Lebensmitteln, insbesondere Gemüse, Kartoffeln, Reis und Brot. Immer dabei ist Wasser für mindestens 2 Tage zum Kochen und Trinken. Zusätzlich Klopapier, Feuchttücher. Selten Eier und Milch, manchmal Kaffeepulver und Teebeutel. Manchmal ein Päckchen Tabak. Dann je nach Bedarf Schuhe, Jacken, Hosen, Strümpfe.

Im Moment sieht unser Tag so aus:

Wir stehen um 3 Uhr morgens auf und fahren in Grenznähe, um zurückgepushte Menschen in Empfang zu nehmen und zu schauen, was sie brauchen: Nähe, Trinken, Wärme

Ab 7/8 Uhr gehen wir in der Umgebung einkaufen und liefern dann das Essen an einen verabredeten Ort.

Um 9 Uhr ein kleines Frühstück in unserer Unterkunft. Dann ein paar Stunden Schlaf. Im Laufe des Tages meldet sich dann eine andere Gruppe bei uns und nennt ihren Bedarf. Wir gehen einkaufen. Suchen günstige Kleidung, packen das Auto neu und steuern einen neuen Treffpunkt an. Mittlerweile hat die Abenddämmerung eingesetzt. Manchmal fahren wir ohne Scheinwerfer, warten irgendwo nach Kilometern auf Sandpisten. Dann eine schnelle leise Übergabe und schon verabschieden wir uns mit einem kurzen „Take care and good luck“.

Bisher konnte Fresh Response diese Arbeit kaum leisten, weil die Vesorgung der Geflüchteten im Stadtgebiet von Subotica alle ihre Kräfte vereinnahmte. Insofern sind die Volunteers sehr froh, dass jetzt durch unsere Arbeit mehr Menschen mit dem lebensnotwendigen versorgt werden, – insbesondere die, durch die besondere Situation des völlig isoliert im Geheimen lebens, besonders vulnerable sind (Bezeichnung für Menschen mit einer erhöhten Verletzlichkeit). Das entlastet die Helfer_innen vor Ort.

Immer wieder merken wir, wie hilfreich es ist, dass wir dank der Hilfe vieler Unterstützer_innen in Deutschland, frei handeln und spontan auf existenzielle Bedürfnisse der Flüchtenden eingehen können. Das gibt unserer Arbeit hier eine gewisse zumindest finanzielle Leichtigkeit und wir würden gerne das erschöpfte, leise „Thank you“ unserer Kontaktmenschen an euch weitergeben.

 

Veröffentlicht unter 2017

Europa lässt foltern

Seit einigen Tagen sind wie so viel unterwegs, dass wir keine Kraft zum Schreiben hatten.

Um euch aber auf dem Laufenden zu halten, versuchen wir zumindest eine Begegnung zu schildern. Anderer Berichte über die letzten 3 Tage folgen.

Europa lässt foltern. Das sind harte Worte. Aber diejenigen von euch, die die Berichte in Political Critique vor einigen Tagen gelesen haben, werden unsere Wortwahl verstehen. Und auch wir begreifen immer mehr, was hier jede Nacht im Dunkeln durch staatliche Gewalt passiert.

Wir treffen morgens um 8.10 Uhr H. Er möchte nicht mit seinem Namen genannt werden. Er ist vor einer Stunde über die Grenze zurück nach Serbien abgeschoben worden (push-back), H. zittert am ganzen Körper. Seine Füsse stecken barfuss in Plastikschuhen, die ihm ein LKW-Fahrer auf dem Weg fort von der Grenze zugeworfen hat. Die Jacke, die er trägt, haben ihm andere Flüchtende gegeben; die lange Unterhose, ist wohl noch seine (es sind 5°C). Kaum betreten wir das Grundstück, wo eine Gruppe von Menschen am Rande eines Dorfes nahe der Grenze Zuflucht gesucht hat, bricht es aus ihm heraus. Stotternd berichtet er von Stockschlägen und Fußtritten. Er kann sich nicht richtig aufrecht halten. Den Kopf immer noch schützend zwischen die Schultern geduckt, beschreibt er die Traktierung mit Elektroschocks. Die Angriffe mit Pfefferspray. – Dass sie ihm die Schuhe weggenommen und vor seinen Augen zerschnitten haben. Die Jacke und Hose haben sie genommen.
Wie die Grenzleute alle ausgezogenen Menschen in einen kleinen Kreis getrieben hätten und ihrer Köpfe aneinander geschlagen hätten, wie er es noch nie erlebt hat. Dann wurden die Männer im Kreis rumgeschubst, dabei immer wieder mit Schlägen und Tritten malträtiert. Er auf den Boden geschmissen, auf ihm rumgetrampelt. Mit Water boarding sei auch schon einmal vor 2 Wochen sein Kopf unter Wasser gehalten worden, während seine Beine in der Luft strampelten. Er ringt nach Fassung. Immer wieder muss er unterbrechen. Wir schweigen immer wieder zusammen, dann ein leichtes Nachfragen von uns, und H. berichtet weiter unter Zittern. Sein Geld haben sie ihm abgenommen, es vor seinen Augen zerrissen. Sein Handy zertreten; die zwei Ringe und 2 Ketten, die er von seinen Eltern bekommen habe, abgerissen und ins Wasser geworfen. Jetzt könne er seine Mutter in Afghanistan nicht anrufen und sie würde verrückt vor Sorgen.

Seine Augen blicken entsetzt, voller Fragen, Demütigungen. Er ergreift eine offene angebotene Hand. Mehr Körperkontakt geht nicht. H. steht unter Schock.

Wir bereiten aus der Thermoskanne einen kleinen Becher Pfefferminztee mit viel Zucker zu.

Dies ist nicht Guantanamo. Dies ist eine Außengrenze von Europa mitten in Europa, 1100 km vom Wendland entfernt.

Veröffentlicht unter 2017

Verschwendung in offiziellen Camps

Ganz auf die Schnelle: In Subotica gibt es ein offizielles Camp, das Familien, aber nach unserer Information keine Menschen aus Pakistan und Afghanistan aufnimmt.

Bei einem Kurzbesuch mußten wir heute feststellen, dass im Müllcontainer vor dem Camp mehrere dutzend dicke Wolldecken sowie saubere Kopfkissen entsorgt wurden. Auf Nachfrage bei einem jungen englischsprachigen Mitarbeiter erklärte er uns, dass das alles erneuert würde. Unsere Frage, warum die existenziell wichtigen Decken nicht an die Geflüchteten auf der gegenüberliegenden Straßenseite gespendet würden, wo nachts die Menschen frieren, erwiderte er: Nein. Das wäre deren eigene Wahl dort zu leben. Deshalb würden die Dinge einfach von vom Camp weggeworfen.

Auf die Nachfrage, uns bitte seinen Namen zu nennen, drehte er sein Namensschild um und verweigerte die Angabe. Das Camp wird laut Ausschilderung u.a. vom ASB Deutschland und German Humanitarian Assistance finanziert.

Wir werden zumindest den ASB auf diesen Mißstand aufmerksam machen, insbesondere weil wir (Katja und Matthias) ja mehrere Monate in einer Notunterkunft des ASB tätig waren.

Hier sieht man nur noch ein Bruchteil der verschwendeten Wolldecken. Der Rest wurde „sichergestellt“.

 

Veröffentlicht unter 2017

Auffälliges Picknick

Nachdem wir schon mehrere Tage auf der Suche nach anderen versprengten Gruppen ziemlich erfolglos waren (auch wenn wir viele Spuren von Flüchtenden gefunden haben), beschließen wir, anders vorzugehen. Anstelle, dass wir Menschen suchen, wollen wir gefunden werden. Wir machen ein Picknick an einer gut sichtbaren Stelle am Waldrand auf einem Weg, den viele Geflüchtete in Richtung Grenze gehen. Wir klappern bewußt laut mit den Autotüren.

Wir genießen die Frühlingssonne und kochen Kaffee. Abwechselnd durchstreifen wir den Wald.

‚Ich ging durch den Wald und habe versucht Lieder zu singen, damit Menschen, die sich im Dickicht vor der Grenzpolizei verstecken, auf mich aufmerksam werden.
„Auf du junger Wandersmann…“ bei der dritten Zeile musste ich stocken.‘
[Falko]

Überall Spuren von lagernden Menschen.

Wir gehen näher an die Grenze heran und erreichen den unbewaldeten Grenzstreifen Richtung Ungarn. Dahinter ein stabiler Grenzzaun, oben mit Natodraht drauf. Dahinter noch einmal 3 Rollen Natodraht übereinander gestapelt (Nato-Draht hat kleine Schnittmesser am Draht, die scharf sind und die Haut zerschneiden). Spätestens alle 5 Minuten patroulliert ein Grenzfahrzeug auf der ungarischen Seite. Zwischendurch (bewaffnete) Fußpatroullien. Wir ducken uns, um nicht entdeckt zu werden.

Beim Aufbruch lassen wir am Picknickplatz eine große Wasserflasche, ein Brot und ein Zettel mit „Refugees Welcome“ zurück. Heute fahren wir wieder hin…

Veröffentlicht unter 2017

Im Wald

Wir erfahren von einer Gruppe, die im Wald lagert und massive Verletzungen durch Polizeigewalt in Ungarn erfahren hat. Es handle sich um einen Rippenbruch  (den wir sowieso nur mit einen Wickel aus elastischen Binden stabilisieren könnten), Hundebisse und einen Handbruch.

Wir (Matthias und Katja) fahren mit einer spanischen Aktivistin und einem mit Lebensmitteln, Wasser und gekochten Essen vollgepackten Auto auf endlosen Sandpisten (zum Glück hat es nicht geregnet) zum vereinbarten Treffpunkt.

Dort treffen wir auf viele Menschen, die in mehreren kleineren Gruppen im Wald lagern. Die Verletzungen sind schon von einem anderen Team, das wir nicht kennen, am Vortag behandelt worden. Das warme Essen der spanischen Gruppe wird schweigend verzehrt. Es ist stockfinster, nur ganz kleines Taschenlampenlicht erhellt ein wenig die Szene. Wir haben zufällig noch eine Kleinigkeit dabei – eine Rolle Toilettenpapier. Wir übergeben die Rolle an einen Flüchtenden. Dieser verteilt sie, jeder erhält drei Stücke. Zum Finger reinigen. Es gab kein Brot zum warmen Essen. Es wurde ausschließlich mit den Fingern gegessen.

Die Männer sind sehr jung, freundliche, offene Gesichter. [Auf der Kölner Domplatte würde solch eine Gruppe vorverurteilt. …. Warum?]

Wir sollen uns schnell wieder auf den Weg raus aus dem Wald machen. Wir lassen noch ein paar Decken da. Mehr wird im Moment nicht gebraucht.

Veröffentlicht unter 2017

WC und Dusche

nach dem Duschen in frischen Klamotten mit Aufdruck: „Eat- sleep-dance-repeat“

[Vorweg: Nein, wir haben kein Wasser Closett gebaut. WC kann die Abkürzung von WorriedCitizen sein.]

Am Samstag war das Wetter wieder so annehmbar, dass die Duschen am See aufgebaut werden konnten.

Schon beim Aufbau kam ein WC mit seinem kleinen Hund vorbei und stellte Fragen, was wir da machen. Wir rechneten also damit, dass es später zu Besuchen von Behördenvertretern kommen könnte.

Als die Duschen dann bereit waren, kamen aber ersteinmal die angekündigten Menschen, zum Duschen. Nach einer kurzen Erklärung des Prozedere ging es dann auch reibungslos und mit Freude los.
Nach einer Stunde erschienen dann auch drei Herren mit Ausweisen des Commissariat for Refugee und erkundigten sich, ob das hier ein illegales Camp sei, was wir verneinen konnten.
Sie besichtigten dann noch den vor drei Tagen von der Polizei geräumten Lagerplatz 100m weiter und zogen wieder ab.
Das Duschen ging weiter, bis nach einer weiteren Stunde zwei Zivilbeamte kamen und sich als Polizei auswiesen. Sie fragten nach serbisch oder englischsprachigen Personen, so dass Falko mit einem anderen Volunteer aus den Niederlanden sich in das Gespräch begaben. Ausweise und „Whitecard“ (Übernachtungsbescheinigung) wurden kontrolliert und die Daten notiert. Auch die Daten vom spanischen Volunteer wurden aufgenommen.
Die anderen Menschen verhielten sich ruhig und beobachteten das Geschehen.
Die Beamten fragten, was hier vorgehe und wir betonten, dass wir für die Menschen, die eine Dusche dringend nötig hätten, nur warmes Wasser zubereiten würden. Und das dies eine humanitäre Geste sei.
Von welcher Hilfsorganisation wir kommen? Nein, wir sind normale Menschen, die sich um das Wohl der Menschen sorgten.
Warum wir das am See machen? – Weil es hier Wasser gibt.
Die Polizisten betonten, dass das hier am See nicht in Ordnung sei, die Menschen könnten im offiziellen Camp duschen. [Dort werden jedoch nur Familien und Menschen aus Syrien eingelassen.]
Also sahen wir uns an und fragten uns wo es denn dann alternative Möglichkeiten gäbe. Ratlos wandten wir uns dann an den englischsprachigen Polizisten. Der schlug dann auch vor, wir könnten doch zum Rathaus gehen, dort könne man uns weiterhelfen.
Scheinbar konnte er diesen gutgemeinten Rat nicht einfach so stehen lassen und betonte, dass die Umstehenden alles Illegale seinen, die sie sofort festnehmen könnten.
Wir bestätigten ihm, dass die Idee mit dem Rathaus gut wäre, betonten dass wir hier alles sauber hinterlassen würden, wenn wir die Duschaktion zu Ende gebracht hätten. Das wurde von den Polizisten hingenommen, sie verabschiedeten sich und zogen ab.

Als sie um die nächste Ecke gebogen waren, ging ein erleichtertes Aufatmen durch die Gruppe und bald machten alle weiter.
Bis zum Sonnenuntergang hatten 21 Menschen geduscht, die Hälfte hat sich mit Essig gewaschen und interessierten sich für die Möglichkeiten, die Behandlung/Prophylaxe weiterzuführen.
Am Ende halfen alle beim Aufräumen und sammelten alle Hinterlassenschaften ein.
Verlasse einen Ort besser, als du ihn vorgefunden hast.

Veröffentlicht unter 2017

… „to look the destination“

Wir hatten uns vorgenommen people in motion, also Menschen in Bewegung beizustehen und sind deshalb nun auch abseits der Stadt auf der Suche. Aber wo sind sie – die Menschen auf den Wegen zu Grenze. Wo sind die Wege die sie nehmen, die geheimen, die verschlungenen, verborgenen. Wo machen sie ihre letzte Rast, um Atem und Mut zu schöpfen, einen Schluck Wasser. Nochmal prüfen ob auch alles dabei ist – nochmal austreten und den Scheiß hinter sich lassen.

Wir stromern durch Gebüsch und durch verlassene Schuppen.
Spurensuche, wie ein Detektiv oder Fährtensucher. Wir finden Spuren – aber von wem, von wann? Liegt Herbstlaub darauf? Ist das Klopapier frisch? Was sagt der Müll über den Vorbesitzer? Wieviele Füße haben das Gras zum Pfad zertrampelt und in welche Richtung?

Wir würden anbieten, wunde Füße zu versorgen, ihnen einen Schluck Wasser anbieten. Ihnen eine gute Reise wünschen. Aber wollen sie das? Sind sie da nicht schon auf dem Sprung zum Sprint zum Zaun der nur noch wenige Kilometer entfernt liegt? Verraten wir sie womöglich und führen mit unserer Anwesenheit die Grenzpolizei zu ihrem Versteck? Ist unsere Anwesenheit schon Warnung an die Grenzer?
Schwierig.
Wir hörten von einer zurückgeprügelten Gruppe, die sich verborgen hielt. Gebrochene Rippe(?), verstauchter Fuß(?). – You need Medical help? – No!
Sie kennen uns nicht – die Angst der Gruppe, entdeckt zu werden, ist größer als der Schmerz. Spannungen in der Gruppe werden größer.

Wir waren gestern wieder am Haus mit dem Waschraum (scabie-wash) – das vor 3 Tagen abends von der Polizei heimgesucht worden war und wo die Sachen von der Polizei verbrannt worden waren.
Den Menschen geht es gut. Sie sind herzlich wie zuvor. Handschlag, Lachen.
Nachfragen nach dem Wohlbefinden, Kochtipps: Ihr braucht die Kartoffeln nicht schälen, da geht fast eine Mahlzeit bei drauf. Oh – Euer Topf ist weg?! – Kurzerhand wird ein neuer für das Haus besorgt.

Heute sind die Bewohner des Hauses zu den Duschen eingeladen. Dort wird dann auch mal frische Unterwäsche ausgegeben. Vielleicht kommt auch die Frau mit. Und vielleicht findet sich auch mal richtige Frauenkleidung in dieser Männerklamottenwelt.

Ortswechsel. Am Güterbahnhof schleicht ein Güterzug an uns vorbei. (Die Eisenbahner haben sich auf die Anwesenheit eingestellt.) Ein junger Männer nähert sich dem Zug, greift zu – und ich denke, dass er doch eine bessere Stelle zum Aufspringen hätte suchen sollen – aber er lässt ab. Neben mir steht ein anderer Mann: „They grabing the Paper,“ erklärt er mir, „to look the destination.“ Und ich sehe den Frachtzettel – in der Hand des zukünftigen Hobos wie eine Fahrkarte.

Der Geruch von Rauch und Müll in den Räumen und die Scherben unter den Schuhen machen mir (Falko) kaum noch was aus. Die freudigen Gesichter sind stärker.

Veröffentlicht unter 2017

Augenzeugenberichte von Grenzübertritten

Fresh Response ist die Initiative, die hier vor Ort frische Lebensmittel, Wasser und Kleidung für Migranten zur Verfügung stellt. Wir arbeiten jeden Tag mit den jungen, energiegeladenen Aktivist_innen aus vielen unterschiedlichen Ländern zusammen, die mehr oder weniger über Fresh Response koordiniert werden.

Fresh Response hält engen Kontakt auch zu denjenigen, die aus Ungarn zurückgeschickt werden. Dazu haben sie einen Artikel veröffentlicht, der die Polizeigewalt und auch die Orte und Menschen beschreibt, denen wir hier begegnen.

Veröffentlicht unter 2017