Katja Tempel und Matthias Wiedenlübbert waren vier Wochen an der bosnisch-kroatischen Grenze, um flüchtende Menschen unter anderem mit Essen, Schuhen und Erster Hilfe zu versorgen.
28.06.2021 – VON CHRISTIANE BEYER
Lüchow. Zum dritten Mal waren Katja Tempel aus Meußließen und Matthias Wiedenlübbert aus Gedelitz dort, wo es weh tut. Diesmal in Bosnien, an der Grenze zu Kroatien, auf einer der Fluchtrouten in die Europäische Union. Vier Wochen halfen die Hebamme und der Krankenpfleger auf eigene Faust in der Grenzregion Menschen, deren nächstens Ziel Kroatien ist. Menschen, die von bosnischen wie von kroatischen Grenzern im wahrsten Sinne des Wortes gewaltsam zurückgewiesen werden und in Verhältnissen leben, die „absolut unzumutbar und in Deutschland unvorstellbar sind“, berichten sie. „Die Menschen vegetieren in der Landschaft, irren mit ihren Kindern auf den Straßen in Nordbosnien herum“, so Matthias Wiedenlübbert. Unterschlupf finden sie auf Industriebrachen, in wilden Zeltsiedlungen. Von einer „unsäglichen Situation“ spricht Katja Tempel. Sie wolle sie nicht nur vom Sofa aus vorm Fernseher beklagen, sondern sich ihr auch bewusst aussetzen. Gegen die eigene Hilflosigkeit helfe es, zu handeln und die Flüchtenden zu unterstützen – sei es durch neue Schuhe, Babytragen, Lebensmittel oder indem man deren Wunden versorge.
Medizinisches Equipment im Auto
In den Vorjahren waren die beiden an der griechisch-mazedonischen und an der serbisch-ungarischen Grenze und auch diesmal ging es in eine Gegend, von der sie wussten, dass es dort wenig Unterstützungsstrukturen gibt. Dabei war ihnen bewusst, dass es aus bosnischer Sicht nicht korrekt war, was sie taten. Das Land lasse zivile Aktivist/innen nicht zu, schon gar nicht solche aus dem Ausland. So tarnten sie sich als Touristen, mieteten sich in einem Hotel ein. Im Auto hatten sie medizinisches Equipment, aber auch „einiges an Geld“, gespendet von Unterstützer/innen, um damit dann vor Ort kaufen zu können, was im Einzelfall nötig war. Basis dafür ist der von ihnen gegründeten Verein „Grenzenlos – People in Motion“.
Auf ihren vermeintlich touristischen Erkundungstouren war es nicht schwer, auf die gestrandeten Menschen zu treffen, „sie sind überall“. Besonders in der Nähe der sogenannten Pushback-Punkte, der Stellen, an denen die Flüchtenden zurück nach Bosnien abgeschoben werden. Die Zurückgewiesenen waren, so berichten Tempel und Wiedenlübbert, „wie eingefroren“, erschöpft, kraftlos, misshandelt, gekennzeichnet von Schlagwunden der Grenzer, viele auch traumatisiert. Die beiden aus Lüchow-Dannenberg überreichten Wasser, Bananen, Schokolade und hielten Kontakt, um sie am nächsten Tag, zu einem bestimmten Termin, gegebenenfalls mit neuen Schuhen, T-Shirts, weiterem Essen zu versorgen. Die Nachfrage nach Smartphones – die vor allem als Navigationsgeräte genutzt werden – und auch Powerbanks zum Aufladen konnten sie nur zum Teil stillen. Oft würden die Grenzer die Smartphones „bewusst zerstören und die Powerbanks einsacken“. Vor ihrem nächsten Einsatz wollen die beiden gezielt gebrauchte Geräte sammeln. Die Übergriffigkeit staatlicher Organe auf der einen und die fehlenden rechtsstaatlichen Strukturen auf der anderen Seite sei ein großes Problem.
„Brauche Tage, an denen ich weinen darf“
„Die Menschen sind in Bewegung und wollen in Bewegung sein, diese Situation müssen wir anerkennen“, meint Katja Tempel. Ihr geht sehr nahe, wie das saturierte Europa Menschen behandele, die ein sicheres und besseres Leben für sich wollen, als es ihnen ihr Herkunftsland bieten kann. Gut schlafen konnte sich in den vergangenen vier Wochen nicht immer: „Ich brauche Tage, wo ich weinen darf, wütend sein darf über die Situation.“ Etwa darüber, das Grenzen für Waren und Waffen durchlässig sind, für Menschen aber nicht. „Dass wir all das akzeptieren in unserer Sattheit und keine sicheren Passagen bieten, aber Lager in Griechenland und der Türkei finanzieren“ – Tempel und Wiedenlübbert können es nicht begreifen. Sich als Gesellschaft andere Menschen vom Leibe zu halten, sei schlicht unmenschlich.
Die Afghanen, Pakistaner, Nordafrikaner und andere, um die sie sich kümmerten, waren zum Teil schon seit fünf Jahren unterwegs. Darunter war auch einer, der in Afghanistan für die Bundeswehrsoldaten gedolmetscht habe. Die Taliban hätten viele seiner Familienangehörigen umgebracht, andere seien schon in Deutschland, „er sitzt jetzt in Bosnien fest“, berichten die beiden. Der Wunsch Katja Tempels und Matthias Wiedenlübberts ist es, dass die Zivilgesellschaft mehr Druck auf den Staat und sein Handeln macht. Dass sich Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) mit der Aufnahme von „15 Jugendlichen aus Lesbos brüstet, ist schlicht lächerlich und würdelos“. Erstaunt waren sie darüber, dass die Flüchtenden immer wieder Kraft für den nächsten Versuch finden, die Grenze zu überwinden – und zurück ins „Game“ gehen – wie sie es nennen. Doch ein Spiel sei das nicht.
Katja Tempel und Matthias Wiedenlübbert werden auf zwei Erzählabenden von ihrem Einsatz berichten: am Sonntag, dem 4. Juli, um 19.30 Uhr im Gasthaus Wiese in Gedelitz und am Montag, dem 5. Juli, ab 19.30 Uhr im Culturladen in Clenze. Auf der Internet-Seite ihres Vereins schildern sie in einem Blog ihre Erfahrungen: www.grenzenlos-people-in-motion.eu by
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Einladung zum Erzählabend
Wer jetzt gerne noch einmal persönlich von unseren Erfahrungen hören möchte, ist herzlich zu zwei Erzählabenden über die Erlebnisse auf unserer Reise in den Norden Serbiens eingeladen:
„Flüchtlingsnothilfe an der serbisch-ungarischen Grenze“
Dienstag, 2.5.2017 im Gasthaus Wiese in Gedelitz und
Freitag, 5.5.2017 im Culturladen Clenze
jeweils um 19 Uhr.
Habt Dank für eure Unterstützung!
Für uns bleibt es bei unserem Ziel:
Grenzenlos – people in motion – gerne auch weiter mit euch
Eigene Füße – andere Hände
Falkos Fazit:
Jeder geht auf eigenen Füßen – bisweilen gemeinsame Wege.
Wir sind zusammen aufgebrochen, um existentielle Not zu lindern. Menschen das zum Überleben Notwendige zu geben.
Einigen konnten wir darüber hinaus auch Beistand geben. Und der Ort und die Situation ergab es, dass wir halfen, die menschenunwürdige und verachtenswerte Praxis der ungarischen Grenzer publik zu machen.
Persönlich hatte ich manchesmal das innere Bedürfnis mich zu schützen, mich abzuwenden, andere Wege zu gehen, zu fliehen, Geschehnisse an mir vorbeiziehen zu lassen.
JedeR hatte einen Strang mit eigenen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Erfahrungen damit umzugehen. Drei Stränge – das führte bisweilen zu Verwirrungen und Knoten. Und doch haben wir es irgendwie immer wieder geschafft, am Ball zu bleiben, uns der Sache zu widmen, hinzusehen, uns zu kümmern und Sorge zu tragen.
Nach einem Monat ist die Mission vor Ort für unser Team zu Ende. Aber die Sorgen klingen nach, auch wenn wir die Dinge, die von uns angegangen wurden, in andere Hände übergeben haben.
Warten auf ein Fazit?
Vielleicht wartet ihr auf ein Fazit von uns. Vielleicht auch nicht.
Ich (Katja) glaube nicht, dass es möglich ist, ein Fazit für unser kleines Team gemeinsam zu ziehen. Zu unterschiedich sind wir drei in unserer Wahrnehmung, unseren Bewertungen, unserem Weiterdenken.
Für mich war es eine sehr anstrengende Zeit. Die besonders belastende Situation, der die Flüchtenden schon im ganz normalen Zustand ausgesetzt sind, mit provisorischer Unterkunft, Angst vor Entdeckung, unklarer Versorgungssituation… wurde hier noch einmal verschlimmert durch die Polizeigewalt hinter der Schengen-Grenze.
Für mich als gewaltfreie Aktivistin gab es immer wieder Seifenblasen die aufpoppten, wie u.a. durch zahlenmässig großen Einsatz von ausländischen Aktivist_innen die Situation vor Ort positiv verändert werden könnte. Dann aber zu merken, dass mir dazu Kraft fehlt, das alles anzustoßen (aber gleichzeitig die Ideen im Kopf zu haben, was deeskalierend und stärkend getan werden könnte) fällt mir sehr schwer.
Die für Flüchtende existenziell bedrohliche Situation hat sich auch immer wieder auf unser Team ausgewirkt. Häufig hat die äußere Belastungssituation zu Konflikten und schlechter Stimmung gesorgt, ohne dass wir uns dem richtig stellen konnten.
Trotzdem bin ich dankbar für die Zeit in dieser Ausnahmesituation. Aber ich bin nicht mehr die Selbe wie vorher.
Die schönsten Momente waren die, in denen wir gemeinsam gehandelt haben. Dann waren wir ein gutes Team und konnten unsere Energie für Flüchtende produktiv einsetzen.
Habt Dank für euere guten Gedanken, mails und finanzielle Unterstützung!
Abschied während Polizeieinsatzes
Gerade als wir Subotica verlassen haben, erreicht uns eine Hilferuf von Fresh Response. Es hat mehrere Polizeieinsätze in mehreren Camps gegeben. Die Polizei ist mit 30 – 40 Kräften und Hunden im Morgengrauen gekommen. 114 Menschen sind in Polizeibussen in ein Lager bei Presevo abtransportiert worden. Ein zweiter Überfall ereignet sich ein paar Stunden später. Die Polizei reißt provisorische Behausungen und Zelte ein, vertreibt die Bewohner. Wir werden gefragt, ob wir zum Ort des Geschehen kommen könnten. Mittlerweile sind wir anerkannt für unsere Erfahrung mit Polizei in schwierigen Momenten und für unsere Fähigkeiten, in schwierigen Situationen gute Lösungen entwickeln zu können.
Leider sind wir schon 90 Minuten entfernt von Subotica und können deshalb nicht mehr helfen. Deutlich wird jedoch, dass es eigentlich der falsche Moment zur Heimreise ist und wir noch gebraucht werden.
10 Minuten vor der serbisch-kroatischen Grenze melden wir uns endgültig von der Kommunikation ab.
freudig
ADM hat uns gerade angerufen: Sie werden die Gruppe regelmässig mit Wasser, Lebensmitteln und (wenn nötig) mit neuen Schuhen und Kleidung versorgen.
Unsere Stimmung hebt sich.
traurig
Angespannt fahren wir zu unserem letzten Besuch zu der Gruppe, die vor ein paar Tagen so heftige Polizeiübergriffe in Ungarn erlitten hat, dass wir zwei Menschen ins Krankenhaus begleiten mussten.
Als wir den Treffpunkt erreichen ist alles still. Wir sind mal wieder pünktlich, um die Gruppe nicht warten zu lassen. Aber es reagiert niemand auf das Autogeräusch. Normalerweise brauchten wir nicht lange warten, weil wir schon erwartet wurden. Heute tut sich gar nichts. Wir lauschen in die Stille. Gibt es Hundegebell, Lautsprecherrauschen, Fahrgeräusche von Jeeps…? Zum Glück ist nichts zu hören. Nach 15 Minuten fahren wir weiter und erreichen einen früheren Treffpunkt, an dem noch die provisorischen Zelte stehen. Auch hier ist niemand. Langsam machen wir uns Sorgen und entschließen uns, zügig die Lebensmittel für die Gruppe auszuladen und dann schnell wieder zu fahren, damit wir die Flüchtenden nicht verraten, falls sie sich an diesem Mittag vor der serbischen Polizei verstecken müssen. Erneut schreiben wir eine WhatsApp Nachricht- und endlich ein „wir sind in 5 Minuten da“. Uns fällt ein schwerer Stein vom Herzen und wir atmen tief durch.
Heute begleiten uns zwei Volunteers der niederländischen Volksküche Aid Delivery Mission (ADM). Wir kennen Teile dieser Küche schon von Rampenplan, einer Küche, die immer für X-tausendmal quer bei den Castor-Transporten im Wendland gekocht hat und der wir uns seit Jahrzehnten verbunden fühlen. Freund_innen sozusagen, die nach einem mehrmonatigen Einsatz in Idomeni in 2016 jetzt einen neuen mehrmonatigen Einsatz in Subotica begonnen haben. Gestern hat die bunte Gruppe zum ersten Mal für mehrere hundert Menschen gekocht und warmes Essen verteilt.
Da wir morgen abreisen werden, haben wir versucht, Nachfolger_innen für unsere Arbeit zu suchen. ADM wird noch heute entscheiden, in wie weit sie zumindest diese eine Gruppe regelmässig mit Wasser, Lebensmitteln und nach Polizeieinsätzen mit neuen Schuhen und Kleidung versorgen können.
Heute ist unser letzter Besuch bei den Flüchtenden. Endlich hören wir sie kommen und sind erleichert, dass es ihnen merklich besser geht, als bei unserem letzten Besuch vor zwei Tagen. Eigentlich ist die Gruppe etwas in Sorge, weil ein Polizeifahrzeug kurz vorher gesichtet wurde. Wir machen schnell und sind kurz davor, uns zu verabschieden, als die Gruppe sich doch entscheidet, dass ein Gespräch nicht zu riskant ist. Wir setzen uns alle im Kreis. Einige können sich auf Grund der gezielten Schläge auf die Kniescheiben noch nicht hinsetzen. Für sie wird aus Steinen schnell eine niedrige Sitzgelegenheit improvisiert. Themen heute sind insbesondere die Verletzungen und deren Heilung, aber auch die geglückte Wiederverwendung von kleinen Wärmekissen, die durch Knicken einer kleinen Metallplatte für ca. 30 Minuten Wärme entwickeln, dann erstarren und durch Aufkochen wieder benutzbar gemacht werden. Die Flüchtenden erzählen, dass es gelingt, die Wärmekissen durch Erhitzen im Teewasser wieder neu aktivieren zu können. Wir sind froh, dass das klappt. Die zwei neuen Voluntäre stellen sich vor und es werden Telefonnummern ausgetauscht. Langsam wird es Zeit, Abschied zu nehmen. Den 6 (von 16) Männern sieht mensch die Traurigkeit an. Sie wünschen sich ein gemeinsames Foto (das wir im Moment hier nicht veröffentlichen können). Bevor wir uns für ein Gruppenfoto aufstellen, singt Katja noch ein Lied:
Mögen sich die Wege vor deinen Füßen ebnen,
mögest du den Wind im Rücken haben.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Möge warm die Sonne dir dein Gesicht bescheinen,
möge sie dir Glanz und Wärme geben.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehen, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Möge sanfter Regen dir deine Felder tränken,
möge mildes Wetter dich begleiten.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehen, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Mögen Gottes Engel dich überall behüten,
mögen sie dich auf den Händen tragen.
Und bis wir uns wiedersehn, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Und bis wir uns wiedersehen, und bis wir uns wiedersehn,
möge Gott seine schützende Hand über dir halten.
Leider ist mir, Katja, der meiste Text entfallen. Aber die tiefe Botschaft dieses Irischen Segens erschließt sich vielleicht auch ohne Worte, nur mit dem Refrain und den Tönen. Auch wenn wir drei (Falko, Matthias und ich) vermutlich keine Gemeinsamkeit in unserer Spiritualität haben, enggenommen das Lied einen christlichen Hintergrund hat (der auch nicht meiner (Katjas) ist), so gibt es doch eine grundlegende Verbindung alles Menschlichen und Lebendigen auf Erden, dass geschützt und bewahrt werden muß.
Während ich dies schreibe, fließen die Tränen. Und eine unbändige Wut kommt auf. Es liegt so viel Ungerechtigkeit in dieser Situation: Wir mit weißer Hautfarbe, einem deutschen Pass, einem Auto am Rande des Treffpunkts verabschieden uns von Menschen mit dunklerer Hautfarbe, ohne den richtigen Pass. Sie haben keine Wahl. Sie müssen hierbleiben und immer wieder neu ihre körperliche und seelische Integrität aufs Spiel setzen, wenn sie weiter gehen auf ihrem Weg. Wir haben die Wahl hierzubleiben oder zu gehen. Und wir entscheiden uns zu gehen. Zurück in unser sicheres Leben, ohne Angst vor Kälte, Polizeigewalt. Es ist kaum auszuhalten und es zerreißt mich.
Unterstützer_in für Duschprojekt dringend gesucht
Für das Duschprojekt, das wir weiter unten im blog beschrieben haben, wird hier in Subotica einE Unterstützer_in gesucht. Möglichst ab sofort bis zum 31.3.2017.
Diese Arbeit wird zusammen mit einem niederländischen Volunteer geleistet, der multilingual (niederländisch, spanisch, deutsch, englisch….) kommuniziert.
Es macht viel Freude, die Duschen aufzubauen, das Wasser zu erwärmen, die frische Unterwäsche bereitzulegen und dann die Flüchtenden zu erleben, wieviel es ihnen bedeutet, endlich wieder warmes Wasser auf der Haut zu spüren.
Wer Interesse hat, möge sich bitte möglichst schnell bei uns auf dem Handy unter 0049 170 8042056 melden.
Push-backs, Tore und mögliche Nachfolger
Unsere Zeit hier nähert sich langsam dem Ende.
Gerade kommen wir von der Versorgung einer Gruppe zurück, die mit 20 Leuten in einem Nachbardorf von Subotica gestrandet ist und vieles in Ungarn verloren hat. Vieles können wir organisieren. Nur Decken sind ein Problem. Wir wissen aber, dass (wahrscheinlich) am Wochenende neue Decken kommen und nehmen uns vor, den Decken-Bedarf an bleibende Volunteers zu übergeben.
Wir suchen nach Nachfolgern, die unsere Arbeit in den Wäldern der Vojvodina fortführen. Heute Abend treffen wir uns mit einer niederländischen Gruppe, die grundsätzliches Interesse formuliert hat.
***
Als wir vor ein paar Tagen immer wieder an der Grenze unterwegs waren, haben wir tatsächlich die Tore im Grenzzaun gefunden, durch die die sogenannten Push-backs, also die Ausweisung und Abschiebung der Flüchtenden stattfinden. Eigentlich sind die Tore wahrscheinlich dazu gedacht, zu Reparaturen am NATO-Draht vor dem Grenzzaun zu gelangen.
An den Toren entdecken wir hängende, im Wind flatternde DIN-A 4 Zettel. Am zweiten Tor liegt auf dem Boden ein in Urdu geschriebener feuchter weiterer Zettel. Wir stecken ihn ein.
Erst später finden wir raus, was für einen spektakulären Fund wir da gemacht haben: Die Geflüchteten berichteten immer wieder von einem Prozedere am Grenzzaun, bevor sie durch ein Tor abgeschoben wurden: Sie mußten laut von einem Zettel ablesen, dass sie Ungarn illegal betreten haben und gut behandelt worden sein. Sie hätten auch keinerlei Gewalt oder Mißhandlung erlebt. Wer nicht sofort ablesen wollte, wurde solange mit Tränengas direkt in die Augen bearbeitet bis er ihn ablas. Das Ablesen des Zettels haben die ungarischen Beamten dann mit Videoaufnahmen dokumentiert.
Bisher gab es keine Beweisstücke dafür. Jetzt hatten wir eine Dokument gefunden, dass vielleicht in möglichen Prozessen oder auch bei der Pressearbeit der Gruppen hier vor Ort eingesetzt werden könnte.
Mittlerweile wird an vielen Stellen, die wir direkt begutachtet haben, ein zweiter Grenzzaun durch Gefängnisinsassen und Grenzbeamte hochgezogen. Zwischen den beiden Zäunen befindet sich ein schmaler befahrbarer Kontrollweg auf dem Tag und Nacht die Geländewagen der Grenzer patroullieren.
Wie wir uns bei diesen Grenzinspektionen gefühlt haben, lässt sich nicht so einfach beschreiben. Stundenlang haben wir über Wege gebrütet, die es uns ermöglichen würden, möglichst lange unbemerkt zu bleiben. Zu unklar ist uns die Situation mit der serbischen Border-Control, zu groß die Angst vor einer direkten Ausweisung aus Serbien. Wenige Volunteers gehen so stark in die räumliche Konfrontation mit dieser Grenzsituation wie wir. Wir können unsere ganze Erfahrung aus dem Castor-Widerstand und dem Nicht-Zurückweichen einbringen. Wir bleiben auch dann nicht stehen, wenn von der ungarischen Seite ziemlich deutlich zum Stehenbleiben aufgefordert wird. Mit einem drohenden Unterton, der deutlich macht, hier geht es nicht mehr um Spaß (gehts ja sowieso nicht). Für uns aber ist klar, würde eine Schusswaffe gezogen, blieben wir stehen. Auch wenn sich plötzlich das Tor für die Grenzpolizei öffnet (zum Glück passiert das nicht) und die Grenzer in den ungarischen Korridor vor dem martialischen Grenzzaun kommen würden. Auch hier ist die Grenzpolizei erstaunt (so wie anderwo), dass wir dem Befehl nicht Folge leisten, sondern ganz in Ruhe aber zielstrebig unsere Fotos von den Toren machen.
Nach solchen Einsätzen sind wir hinterher ziemlich erschöpft. Der Körper schmerzt vor Anstrengung, der Mund ist trocken wegen des hohen Adrenalinausstoßes. Dabei taucht dann natürlich immer wieder der Gedanke an die Flüchtenden auf, die diese Situation mehrmals pro Woche erleben, wenn sie versuchen die Grenze zu überwinden.
Übrigens, alle Menschen die wir in den vier Wochen erlebt haben, sind frei von Aggression und Haß. Sie sind zutiefst verletzt, gedemütigt. Einige dabei von einer ruhigen Fröhlichkeit. Andere so stark traumatisiert, dass ihr Gesicht keine Regung mehr zeigt.
Serbische Polizei
[Ich weiß nicht, ob ich mich über meinen deutschen Pass freuen soll.]
Am 6.3. hat das Krankenhaus die Polizei gerufen, als sie zwei Flüchtende behandelten. Dies sei bei Verletzungen nach Gewaltverbrechen üblich.
Wir kennen die Beamten. Es sind die beiden, die letzte Woche bei der Dusche am See den Tipp gegeben hatten, wir mögen uns an die Stadt bzgl. eines Duschorts wenden.
Auch diesmal waren sie sehr freundlich. Auch während der Zeit mit den Flüchtenden in der Polizeistation.
Ist das ein Zerrbild? Oder wird Folgendes zu einem Zerrbild?
Wir haben hier in Serbien gelernt, dass die Beförderung von Flüchtenden verboten ist. Genau, wie vor einem Jahr in Griechenland. Auch in Serbien interessiert uns das nicht bzgl. unseres praktischen Handelns.
Wir haben dementsprechend kein Problem damit, dass die Polizei uns bittet, die Flüchtenden vom Krankenhaus ins Polizeirevier zu fahren, weil sie es nicht dürften („weil die Gewalt ja von ungarischen Menschen in Ungarn ausging und es deswegen kein Fall für die serbische Polizei sei“), obwohl sie (die serbische Polizei) eine Befragung in der Polizeistation durchführen wolle.
Hä?
Während die Befragung der Flüchtenden in der Polizeistation stattfindet, sitzt einer von uns im Foyer und kann die Gespräche durch die offene Bürotür mithören (nicht inhaltlich). Es scheint alles gut. Irgendwann stossen die anderen beiden mit dem Taxi von der Flüchtendenversorgung dazu. Im großen Foyer sind 5 an die Wand geschraubte Sitzplätze. Wir sind zu dritt. Der „Pförtnerpolizist“ hat uns die ganze Zeit hinter seiner Glasscheibe sitzend „unter Kontrolle“. Trotzdem kommt plötzlich einer der verhörenden Beamten zu uns und gibt uns zu verstehen, dass drei Personen nun im Foyer zu viel seien und zwei von uns gehen müssten.
Böse Frage: warum dürfen drei „Zeugen“ nicht im Foyer einer Polzeistation sitzen und das dort alltägliche Treiben „beobachten“?
[Vor einer Woche wurde von der serbischen Polizei eine Unterkunft von Flüchtenden geräumt. 2 Flüchtende wurden zum Verhör mit auf die Polizeistation genommen. Nach dem Verhör hat die internationale Begleiterin einen von ihnen mit Rippenbruch ins Krankenhaus gebracht.]
Als die Flüchtenden die Polizeistation verlassen, wird uns von einem verhörenden Beamten gesagt, wir hätten nun eine Stunde Zeit, die Flüchtenden (verbotenerweise) zu befördern. Sollten wir in dieser Zeit angehalten werden, werde er eh kontaktiert und die Situation klären. Klingt doch nett.
Ein Protokoll der Vernehmungen gibt es in Kopie nicht. Weil ungarische Menschen in Ungarn die Verletzungen zugefügt hätten, sei es kein serbischer Fall.
Hä?
Am nächsten Morgen kommen wir in unserem Hotel an den Frühstückstisch. Zwei Tische weiter sitzen zum ersten Mal zwei uniformierte Polizisten, trinken noch eine halbe Stunde Tee und gehen dann. …
Wir treffen die beiden Flüchtenden auch am nächsten Tag wieder. Im Gespräch wird deutlich, dass dies nicht ihre erste Polzeivernehmung war. Sie berichten, die Polizei hätte hauptsächlich nach der sie begleitenden deutschen Person befragt. In verschiedenen Varianten. Und sie berichten, dass sie die Beamten kannten:
„They are cruel.“ [cruel=grausam]