Zunächst einmal ein kleines Puzzlestück von uns für euch, die Treppe in Kladusa Warehouse wurde ja schon letzten Donnerstag fertig.
Am Freitag sind wir dann weiter nach Kluj gefahren.
Die Station bei Kluj
Wir fahren zu Sanela, die mit ihrem Vater Mustafa und einer weiteren Freundin nicht zugeschaut hat, als nachts Geflüchtete aus den Bussen nach Bihac (an der kroatischen Grenze) geholt wurden. Sie hat sich gekümmert mit allem was sie hat und das war am Anfang nicht viel. Von Freunden_innen zusammengeschnorrte Kleidung und Geld. Eine offene Garage von einem Nachbarn, die dann ab März trotz schlimmen Regens nicht mehr genutzt werden durfte. Einem inoffiziellen Erlass zu Folge, ist es Migranten untersagt nach Una Sana einzureisen. Bis zu 1000 pro Monat versuchten es trotzdem über Kluj, denn Una Sana ist die Grenzregion zu Kroatien. Also werden an der Kantonsgrenze am Rande eines kleinen verschlafenen Dorfes bei Kluj alle Busse gestoppt, die nach Bihac fahren und nur per Blick werden „die“ von der Polizei raus geholt. „Die“ sind Menschen mit dunklerer Hautfarbe, gemeint sind die Geflüchteten. Wir kennen das unter racial profiling. Egal bei welchen Wetter werden so die Menschen im Bus selektiert. Seit ein paar Monaten dürfen zumindest Familien weiterfahren – meistens. „Jetzt steht hier eine Hütte, aber letztes Jahr lagen hier die Geflüchteten morgens mit Schnee bedeckt am Straßenrand, auch Kinder. Es war teilweise minus 20 Grad“, erzählt uns Salena. Und direkt daneben das Polizeiauto mit laufendem Motor, damit es den Beamten warm bleibt. Rund um die Uhr ist die Polizei vor Ort, um die unsichtbare Grenze nach Una Sana zu bewachen. Auf diesem kleinen Fleck neben der Straße werden wir mit der Polizei, mit Sanela und Mustafa und mit den Geflüchteten, die dort stranden, die nächsten Tage verbringen. Das Ganze dürft ihr euch dann noch in einem wunderschönen von sanften Bergen umgebenen Flusstal vorstellen. Absurd ist durchaus eine treffende Beschreibung.
Sanela hat uns um Hilfe gebeten, um die Hütte, die mit Unterstützung von ihrem Mann, Freiwilligen und Geldern von Privatmenschen und NGO‘s gebaut wurde, durch eine Tür besser vor der Kälte zu schützen. Außerdem wünscht sich Sanela ein großes Regal für den Lager- und ErsteHilfeContainer, sowie Hilfe beim Sortieren. Außerdem haben wir eine gespendete Solaranlage im Gepäck, um den hier unfreiwillig Gestrandeten, die Möglichkeit zu geben, ihre Smartphones zu laden.
Im Handeln kann Salena uns und vielen anderen ein Vorbild sein. Pragmatisch, an den Bedürfnissen der Geflüchteten orientiert, mit Herz und mit dem Mut auf die Situation aufmerksam zu machen. Mit dem Selbstverständnis, dass es nur eine richtige Option gibt, nämlich zu helfen: „Es bringt nichts zu fragen, warum die Menschen hier sind und ob es ihnen nicht in der Heimat besser gehen würde. Denn dann fragen wir ja nur noch warum, warum, warum, aber die Menschen sind ja hier und brauchen Unterstützung. Das ist doch Fakt!“, sagt Salena. So überzeugt sie die Polizei, das Rote Kreuz und die Bevölkerung, dass es eine kleine Station für die Geflüchteten geben muss und auch, dass es okay sein muss, dass sich die Menschen dort bei Bedarf für ein paar Tage ausruhen dürfen. Die Polizei versuchte die Menschen am Anfang direkt wegzutreiben. Nun kümmert sich Salena, mit vier anderen Rotes-Kreuz-Helfer_innen nicht nur um eine warme Nacht, Essen und Kleidung, sondern auch darum, dass sich die Angekommenen neue Pläne machen können. Sie werden aufgeklärt über die möglichen Routen, zu Fuß, mit dem Zug oder mit dem Bus, um zu ihrem Ziel an der Grenze zu kommen. Ohne den offiziellen Background des Roten Kreuzes wäre es nach Salenas Einschätzung nicht möglich gewesen, die Akzeptanz für diesen Ort zu bekommen. Und mittlerweile zahlt der internationale Rotes-Kreuz-Verbund auch ein kleines Gehalt für die zahlreichen engagierten Stunden, die in diese Station gesteckt werden.
„Wir“ und „Die“?!
Die NoNameKitchen schlägt als Bezeichnung für Geflüchtete People on the move (PoM) vor, um mehr den Menschen im Fokus zu haben. Auch wir haben Schwierigkeiten in der Bezeichnung. Noch sprechen wir von und mit Geflüchteten, aber vielleicht wäre es auch schön, wenn wir Menschen auf der Flucht sagen. Wir haben da bislang keinen eindeutigen Weg gefunden. Immer wieder stolpern wir über das „Wir“ und noch viel mehr über das „Die“. Uns einfach alle unter einem Wir zu finden ist nicht so leicht. „Wir“ als Europäer_innen mit deutschem Pass, können uns vor Privilegien kaum retten. Wir können zusammen mit den Geflüchteten vor Ort zusammen bauen und Tee trinken, aber es sind nicht wir, die dort in der Hütte schlafen werden – genauso wenig, wie Bosnier_innen. Nicht unbedingt wegen der Kälte, aber wegen der Angst vor Krätze zum Beispiel. Schätzungsweise 70 Prozent der Geflüchteten leiden unter dem durch die Krätze verursachten Juckreiz und den dadurch entstehenden, durch schmutzige Hände leicht infizierbaren Wunden. Bei Sanela gibt es sauberes Wasser, aber das ist auf der Straße und in den Squats die Seltenheit.
„Wir“ dürfen im Una Sana Kanton hin und her fahren. Wir dürfen uns eine Unterkunft mieten, und können uns auch die Angst vor Krätze, sowie Urlaubsgefühle beim Blick in die schöne Landschaft leisten. Für manche von uns ist diese Diskrepanz schwer auszuhalten, zumal wir hier wirklich luxuriös untergebracht sind. Nicht zu helfen wäre allerdings sicher keine sinnvollere Alternative und der Versuch unsere Privilegien abzugeben, fühlt sich eher lächerlich an. Also weiter handeln und helfen?!!!!!
Bosnien zwischen Krieg und Landflucht
An einem Abend sitze ich mit zwei jungen Männern, einer ist erst 16, die aus dem Bus geholt wurden und Mustafa, der ca. 65 Jahre alt ist, am Ofen in der Hütte. Mustafa spricht kein Englisch und wirkt auf den ersten Blick, wie der Sheriff des Dorfes – ist er aber nicht. Er zeigt erst auf sich: „Migrant“, dann auf die beiden Jungs. „Migrants“, sagt er lächelnd zu den beiden. Der Krieg, der dazu ein sehr grausamer war, ist erst gut 20 Jahr her. Viele, viele Menschen sind, wie auch Mustafa und seine Familie aus Bosnien (damals Jugoslawien) geflohen. Nicht alle, aber viele sind nach dem Krieg wieder zurückgekehrt. Noch immer gibt es viele Minen in den Wäldern, es wurde wenig wieder aufgebaut. Kein Tag vergeht, an dem nicht über den Krieg geredet wird und die Zeit ist eingeteilt in die vor und die nach dem Krieg.
Nicht nur die unfertigen Häuser, sondern auch die verfallen Fabriken, leeren Schulen und Straßen – vieles wirkt verlassen. In Kluj und den umliegenden Dörfern leben heute nur halb so viele Menschen wie vor dem Krieg. Viele Menschen haben die Hoffnung auf Verbesserung der Situation verloren und besorgen sich Arbeitsvisa für Deutschland. Täglich ziehen Menschen weg, um sich eine gute gesundheitliche Versorgung zu sichern, um den Kindern eine gute Bildung zu bieten, um sich eine sicherere Rente zu erarbeiten und das selbst, wenn sie hier „gute“ Jobs haben. In Bihac, das bis zu 40.000 Einwohner_innen hat, gibt es nach persönlichen Berichten zum Beispiel nur einen funktionierenden Krankenwagen, Ärzt_innen verdienen wenig und lassen sich zum Teil eine notwendige Behandlung unter der Hand bezahlen. Auch die politische Lage ist unübersichtlich. Die Kantone sind gespalten und Volksgruppen, die sich vor gut 20 Jahren noch im Krieg gegeneinander befanden, wohnen nun, ohne dass viel aufgearbeitet wurde, nebeneinander. In direkter Umgebung zu Kluj wurden nach dem Krieg Massengräber mit ca. 400 vor allem muslimischen Zivilist_innen ausgehoben.
Bosnien geht also mit ganz eigenen schwierigen Themen in die aktuelle Situation mit den geschätzten 8.000 Menschen, die eigentlich nur zur Durchreise, auf dem Weg in ein besseres Leben, nach Bosnien kommen. Und trotzdem, oder gerade deswegen begegnen viele Bosnier_innen den Menschen verhältnismäßig offen, wenn auch von offizieller Seite mehr getan werden könnte. Wie zum Beispiel die leerstehenden Schulen freigeben. Und die EU ist hier mit dem perfiden Doppelspiel vertreten, einerseits die offiziellen Camps zu bezahlen, und andererseits die kroatische Grenzpolizei auszurüsten, damit sie niemanden in den EU lassen.
Abschied
Sanela ist sehr glücklich über die Unterstützung die wir ihr, bzw. dem Projekt geben konnten. Wir bekommen noch ein geschnürtes Paket für Kadir, der eine Nacht in der Hütte bei Kluj verbracht hat Er ist nun in Kladusa, um morgen ins „game“ zu gehen. So wird der Versuch, die Grenze in die EU unerkannt zu überwinden, genannt. Wir machen uns auf den Weg zurück nach Kladusa und bringen auf dem Weg noch die restlichen Sachspenden, besonders das medizinische Material, nach Bihac.
In Kladusa werden wir in den nächsten Tagen, Essenspakete packen, Regale bauen, Öfen in Squats anschließen, die „Dusche“ in der Fabrik bauen und viele andere Kleinigkeiten bearbeiten.
Bis bald