Dienstag, 12.4.2016
Nur vorab: ab heute sind wir zu dritt. Katja, Matthias, Sebastian. Aber nein: wir sind nicht die drei Deutschen, die heute verhaftet wurden. Und nein: die AktivistInnen aus Polykastro schüren keine Ausbruchs- oder Grenzüberschreitungsaktivitäten der Flüchtenden.
Gestern haben wir nicht gebloggt. Komischerweise ein gutes Zeichen. Wir haben zwar immer noch keine Landkarte von der Gegend gefunden und wir haben auch nicht das Gefühl, dass die ApothekerInnen irgendein Interesse an Umsatz haben. Aber egal. Katja hat an der EKO-Tankstelle wieder werdende Mütter getroffen, Matthias hat den Kontakt zu einer NGO geknüpft „und fängt morgen mit seiner Arbeit in der medizinischen Versorgung an“. Abends haben wir dann noch die Einführungsveranstaltung für Neuankömmlinge besucht. Sehr gut gemacht. Kurz, knapp, verbindlich, informativ, gut strukturiert.
Heute ist Sebastian angekommen. Mit dem Zug, nach 40 Stunden Bahnfahrt (inkl. Schienenersatzverkehr wegen des Camps in Idomeni). Erneut haben wir EKO besucht. Katja ist wieder durch das Camp gezogen und hat werdende Mütter getroffen. Diesmal wurde sie von Sebastian begleitet. Eine gute Gelegenheit für ihn, ein erstes Gefühl für die Camps zu bekommen. Matthias hat zeitgleich bei einer NGO angedockt und aus einem Ambulancefahrzeug die medizinische Versorgung an der EKO-Tankstelle unterstützt. Alles entspannt.
Bewegung kommt am späten Abend. Wir lesen die deutsche Online-Presse. Dort wird berichtet, AktivistInnen hätten und würden die Flüchtenden anstacheln, Unruhen in den Camps anzustiften. (Gestern stand auf der anderen Seite in der Zeitung, dass die griechische Regierung die BewohnerInnen der „wilden“ Camps gerne in offiziellen Militärcamps sehen, aber auf keinen Fall Gewalt anwenden wollen würde.) Außerdem wären mehrere freiwillige HelferInnen (teils vorübergehend) verhaftet worden, darunter drei Deutsche. Während wir die Online-Berichte lesen, kommt ein Helfer ins Foyer und erzählt der Gruppe am Nachbartisch von den Verfaftungen. Die Gruppe weiß noch nichts davon. Auch die anderen HelferInnen essen und unterhalten sich entspannt, schauen sich ihre Fotos des Tages an, drinnen wird Klavier gespielt, draussen Geige.
Ich schreibe an dieser Stelle ganz bewusst von Helfern und Helferinnen und nicht von AktivistInnen. Und ich beschreibe ganz bewusst diese Situation: unabhängig davon, welche Hintergründe die einzelnen Menschen im Parkhotel haben: hier sind alle vereint im Willen, humanitäre Hilfe zu leisten. Sonst nichts. Keine politischen Parolen, keine Transparente, keine politische Agitation. Alle Neuankömmlinge werden darum gebeten, alle nehmen dies als selbstverständlich zur Kenntnis und alle handeln sowieso selbstverständlich danach. Unser Storch mit dem zerbrochenen Gewehr ist die einzige „politische“ Äußerung der Menschen, die sich hier in Polykastro aufhalten. Man trifft sich in Projekten und arbeitet einfach nur humanitär. Dass hier unter Umständen gerade der Boden dafür bereitet wird, gegen uns HelferInnen poltisch und vielleicht auch praktisch vorzugehen, scheinen die wenigsten wahrzunehmen.
Sebastians Satz des Tages „Hello, my Friend“ von jedem der lachenden, spielenden Kinder im Elend.
Heute ist die „Geburtenplanung“ mit all ihren Facetten deutlich geworden: Einige Frauen freuen sich sehr über einen positiven Schwangerschaftstest; andere (häufig Frauen, die im Herkunftsland studiert haben) entscheiden sich bewußt gegen das Schwangerwerden in dieser unheilvollen Zeit und verschieben auf das später,
Die Hebammenarbeit in diesen „illegalen“ Lagern unterscheidet sich nicht stark von der Arbeit in den Notunterkünften im Landkreis. Die Frauen fragen sich, wie es weitergeht, ob es eine Hoffnung gibt.