Gestern sind uns einige Mitglieder von drei Familien aus einem Haus begegnet. In diesem Moment hatten wir für sie nur etwas Wasser und Babytragen. Und unseren Facebook-Account. Über ihr einziges Smartphone haben sie uns dann gestern Abend kontaktiert und um materielle Hilfe gebeten. Heute Abend wollen sie wieder ins Game. 8 Erwachsene und 12 Kinder.
[Game: Der Begriff ist hier allgegenwärtig. Er beschreibt den Versuch der Grenzübertritte der People on the Move Richtung EU. Er wird von allen genutzt. Den People on the Move, den Aktivist*innen und Mitarbeiter*innen der NROs, den Verkäufer*innen in den Geschäften.]
Sie haben für jede Familie um je drei Schlafsäcke, je ein Zelt und je einen Rucksack gebeten. Sie erklären dabei, dass eine Familie keinen Schlafsack besitzt, eine Familie einen und eine Familie zwei Schlafsäcke.
Mit was wollten die Familien eigentlich loslaufen, wenn sie am Vortag noch solche Wünsche äußern?
Wir besorgen alles. Naja, Dinge, die hier so genannt werden. Die Schlafsäcke scheinen für diese Jahreszeit wohl brauchbar zu sein. Zumindest berichtete uns das die Familie aus dem Schulhaus, denen wir auch zwei besorgt hatten. Die sogenannten Zelte sind 2×2 Meter groß und laut Verpackung für 5 Personen. Wir sehen sie immer wieder in den Unterkünften. Für uns würden wir sie wahrscheinlich nicht einmal zum Spielen für die Kinder in den Garten stellen. Und auch die Rucksäcke sind nicht das, was zumindest ich bei einer mehrtägigen Wanderung nutzen wollen würde. Aber sie sind ein hier übliches Modell.
Ein Vater hofft, dass sie im Zweifel auf gute Polizisten treffen und sie nicht geschlagen werden und nicht ihr gesamtes Habe zerstört oder geklaut wird. Sie versichern sich auch, dass sie sich bei uns melden dürfen, wenn sie wieder nach Bosnien deportiert werden. Hoffnung und Zuversicht?
Schmeißen wir hier Geld zum Fenster raus? Heute gekauft, morgen von der Polizei verbrannt und übermorgen vielleicht wieder neu gekauft?
Gestern eine Kaiserschnittnaht versorgen und morgen Verbandkontrolle. Mit etwas Glück ist die Wunde in einer Woche verheilt und das Problem ist gelöst. Eine echte Problemlösung, entstanden als „Nebenprodukt“ des schönen Ereignisses der Geburt eines kleinen Menschens. Gut investiertes Geld in das große Pflaster (das in diesem Falle eine Sachspende war).
Schmerzbehandlung, Lebensmittelversorgung und der Kauf von Schuhen und Co. lösen keine Probleme, sondern lindern nur Symptome. Und da ist es eigentlich egal, ob wir Geld für Obst, Paracetamol oder Schlafsäcke ausgeben. Wer entscheidet, was wichtiger ist? Die Menschen sind auf dem Weg.
Aber vielleicht hilft dem Vater in seiner Hoffnungslosigkeit die Zuversicht beim nächsten Scheitern, vielleicht wieder einen wärmenden Schlafsack für seine Familie und sich zu bekommen.