(Triggerwarnung: Die nachfolgenden Inhalte beschreiben in Text und Bild Misshandlungen an Menschen. Sie könnten zu emotionalen Belastungen bei Lesenden führen und alte eigene Gewalterfahrungswunden aufreißen)
Nachts um 23 Uhr erreicht uns ein Video von Hassan per Facebook. Er selber filmt seinen mit Plastikfesseln auf dem Rücken gefesselten Freund, der verletzt auf einem Waldboden liegt. Er fleht um Hilfe: „Mama Silver“ in Bezug auf unser Facebook-Account „Silver Bird“. (viele helfende Frauen* werden hier „Mama“ genannt und in ihrer „Mütterlichkeit*“ von Flüchtenden zum Teil stärker wahrgenommen, als männliche Unterstützer*). Zuerst scheint es, als ob die am Boden liegende Person nicht mehr am Leben ist. Große Erleichterung, als sie sich bewegt.
Zuerst denken wir, dass es sich um Verletzungen durch kroatische Grenztruppen handelt, allerdings liegt der Standort der beiden Misshandelten zwischen Buzim und der Grenze, an einer kleiner Straße im Wald eindeutig auf bosnischen Gebiet. Die Info, die Hassan dazuschreibt ist immer wieder: „Police Buzim“.
Gerade, wo ich das schreibe, steht ein Polizist drei Meter neben mir. Die selbe Einheit, die hier für die Mißhandlungen zuständig ist.
In der Nacht trauen wir uns nicht, in den Wald zu fahren. Es herrscht immer noch Ausgangssperre (wie wir später erfahren, ist sie genau um 0 Uhr in dieser Nacht aufgehoben worden) und es gibt ja das absolute Transportverbot – das wir allerdings für absolute lebensbedrohliche Zustände wahrscheinlich gebrochen hätten ( so wie in Serbien auch schon).
Beide Verletzten schreien danach, dass wir den USA Bescheid sagen, was hier passiert.
Irgendwann sind die Plastikfesseln durchgeschnitten und wir telefonieren mit den beiden im Wald. Sie sind völlig aufgelöst, analysieren die Übergriffe als Rassismus. Aber sie planen schon zu Fuss zum Gesundheitszentrum nach Buzim zu gehen. Das heißt, sie sind irgendwie handlungsfähig. Wir verabreden, dass wir um 9 Uhr in ihr „Haus“ kommen um zu reden und zu schauen, was wir medizinisch noch tun können. Immer wieder wiederholen wir diesen Satz in dem 12-minütigen Telefonat: „Yes, we will meet. And now you walk to the hospital.“ Es wirkt wie ein Mantra, ein Anker in dieser Ausnahmesituation. Irgendwann können wir das Telefonat beenden.
Später erfahren wir von der lokalen Soliperson, dass sie mit ihrem Mann in den Wald gefahren ist und die beiden ins Krankenhaus gebracht hat. Danach war sie auf der Polizeiwache und hat sich noch in der Nacht über das Verhalten der Polizei beschwert:
Sie schreibt:
„Aber die Polizei schützt sich gegenseitig. Es gibt keine Gerechtigkeit. Ich möchte dass diese Polizisten morgen ihre Arbeit verlieren und meine Kinder (Migranten) nicht von solchen Monstern geschlagen werden.„
(am Tag später im Kontakt mit einem anderen Migranten)
„Sie haben das gleiche mit einem anderen Migranten gemacht. Sie tun es immer noch. Genug! Jemand muß reden. Sie nahmen ihm sein Telefon ab. Zuher called me. They take him again somewhere. He was scared and he cried. I went to the police and begged them. I cried to call the patrol to bring him back. They didn`t listen to me and beat him again. This is horrible. They lied to me that they called the patrol and that no one whold beat him. They protect each other. What should we do?“
Um 9 Uhr schlafen noch alle Bewohner in dem Haus und wir schreiben per Facebook, dass wir abends wieder kommen.
Wir fahren wieder zum Haus nahe der kroatischen Grenze (siehe Blog von gestern). Ich treffe 11 Personen aus Afghanistan, die in der Nacht zuvor gepushbackt wurden. Unter ihnen ist ein ehemaliger Dolmetscher, der zwei Jahre für die Bundeswehr in Kundus und Mazar El Sharif gearbeitet hat und zwei Jahre für die Nato. Aufgrund seiner Arbeit wurden sieben enge Familienangehörige getötet, es gab vier Angriffe auf sein Haus. Dann entschied sich die Familie zu gehen. Mutter und zwei Geschwister sind schon in Deutschland. Er hängt mit seiner 15-jährigen Schwester in Bosnien fest. Beide möchten gerne den letzten Push Back aus Sicht der Schwester dokumentieren und so hocken wir uns in einen kleinen halboffenen Stall. Es brennt ein klitzekleines Feuerchen, dass an diesem kühlen Tag nicht genug Wärme bringt. Wir hocken auf Ziegelsteinen, ich maskiert, in direkter Körpernähe zu den erzählenden Menschen. (Das ich mich irgendwie gefährden könnte, ist mir klar und ich gehe das blöde Corona-Risiko bewußt sein. Es ist eine Wertabwägung).
Wir rufen die PuschBackMap auf meinem Laptop auf. Dort die Seite auf Urdu. Die super geschriebenen Infos werden laut vorgelesen. Es scheint, die Gruppe versteht die Intention der öffentlichen Erfassung von Push Backs. Wir fangen an, gemeinsam den Fragebogen auszufüllen. In den Freitextfeldern werden mir folgende Inhalte diktiert:
„The male officer were laughing. They shot with electric device at the neck. They burned our clothes. Even a family did not get water for a Baby. They shot real bullets at the side of us when wie tried to pick up our raincoat from the ground. It was dark all the same. They cut a diaper of a baby to search for mobile phone.
3 commandos from Border Police/Military???? with covered face mask in grey, only eyes were seen. They wore green pants and jackets and a woolen black hat. 6 policemen including one female policewoman were wearing black uniforms with „Policija“. One Lady was very brutal. She was about 45 years. She had no mercy, she is brutal. She is very strong, very tall (185 cm) even the women she hit. The 2 year old she liftet up high in the air to tear her diapers. All of us were very scared of this woman. We are immigrants not criminals.
I am 15 years old, girl, from Afganistan. My mother is in Germany since one year. She is in hospital. I miss her a lot. Also my brother and sister are in Germany. I can not live without my mother. I have no one in Afghanistan. Just me and my brother who is together with me on this journey. He worked for german military as well as Nato-Alliance in Mazar El Sharif, Kunduz, Kabul. Because we lost 7 closest members of our family, including our father. My father was an active employer of Afghanistan Government. He was killed by unkown people at the same time. We were attacked 4 times in our house but they failed. We had no other option then to flee from Afghanistan. It has been a year that I have been seperated from my mother. My only crime is that I want to join my family. Now I face military forces who don`t want me to meet my mother.„
Abends gelingt es uns endlich Hassan zu treffen. Er berichtet noch einmal ganz genau von dem Übergriff und klärt für uns endgültig die Frage, welches Land hier gewalttätige Übergriffe auf schutzbedürftige Menschen ausübt. Es ist doch nicht nur die kroatische Grenzpolizei. Staatliche Gewalt ist einem Nationalstaatensystem inhärent – es ist untrennbar verbunden. No Nation – No Border!!!
Wir müssen heute zusammen mit der bosnischen Soli-Familie analysieren, ob unser Hiersein damit zu tun haben könnte und was gegen eine Fortführung der bosnischen Polizeigewalt unternommen werden kann.