Es ist gut, dass wir so wenig spezialisiert sind. Deswegen stehen wir täglich vor den Fragen: Was machen wir hier? Warum? Und mit welcher Perspektive?
Die Endlichkeit unseres Seins vor Ort ist dabei immer ein begleitendes Thema.
Gestern haben wir zum ersten Mal bei einer Gruppe ausschließlich Lebensmittel vorbeigebracht. Es sind die drei Familien mit dem hoffnungslos-zuversichtlichen Vater. An dem Gesicht einer Frau können wir sehen, dass wir einigermaßen gut eingekauft zu haben scheinen. Reis, Mehl, Linsen, Öl, Gemüse, Curry, Salz, Zucker, Tee. Wir übergeben ihnen auch ihr jetzt einziges (Küchen)messer, damit sie die Melonen schneiden können.
Beim Pushback hatten sie „Glück“. Niemand wurde geschlagen und lediglich die Babytragen und das einzige Smartphone wurden zerstört. „Unsere“ Rucksäcke und ihr Gepäck durften sie behalten.
Weil sich jetzt herausstellt, dass eine der Frauen schwanger ist, kann Katja in das Haus gehen. Sie untersucht die Frau, stellt fest, dass es dem Baby gut geht und stellt einen Mutterpass aus. Sie sieht dabei auch, dass diese Familien tatsächlich nur das haben, was sie mit sich tragen. (In anderen Häusern sehen wir sonst auch alte Schuhe, alte Kleidung, Lebensmittel) Kleidung hängt auf Wäscheleinen vor dem Haus – sie haben noch nicht die Kraft verloren, für sich zu sorgen.
Wir fahren weiter und biegen ab auf ein altes Fabrikgelände, auf dem eigentlich nur noch die asphaltierten Flächen existieren. Wir treffen auf 20 von 40 dort lebenden Männern aus Pakistan. Auch sie haben Hunger. Wir haben nichts mehr. Sie bleiben trotzdem freundlich und wirken gut gelaunt. Wir bieten medizinische Hilfe an. Wir behandeln Fußverletzungen, geben Tipps gegen Juckreiz und Bachblüten gegen die innere Unruhe. Katja beobachtet dabei eine kleine Gruppe von Männern, die sich in den Trümmern des einzigen Gebäudes ihre Bärte mit einem Akkurasierer schneiden. Auch hier sorgen sie noch für sich. Und wir versprechen, in zwei Tagen wiederzukommen.
Wir spüren die unterschiedlichen Anspannungen. Hier Familienväter (die in der Regel mit uns kommunizieren), die ihre gesamte Familie im Blick haben müssen, dort einzelne Individuen, die sich als Gruppe organisiert haben. Beide Gruppen haben an diesem Tag Glück, dass wir ausgerechnet bei ihnen in ausgerechnet dieser Stimmung von ihnen und von uns vorbeigekommen sind.
Die drei Familien im Haus haben erkannt (und uns erzählt), dass sie als Gruppe zu groß seien. Beim letzten Game hatten sie ein Smartphone, dass sie zur Notgemeinschaft gemacht hat. Nun haben sie keines mehr. Die 40 Pakistani haben auch kein Smartphone.
Der Vater erzählt es eher resigniert. … Wir haben ein Smartphone dabei und diskutieren. Wir beschließen, jeder Familie einmalig ein Smartphone zu organisieren. Einem Vater geben wir das Smartphone nachdem wir uns von den anderen Vätern haben versichern lassen, dass wir ihnen in zwei Tagen auch je eines vorbeibringen. Der eine Vater mit dem Smartphone kann es kaum glauben und steht mit dem Smartphone in der Hand nur da. Hoffentlich sehen wir nach dem nächsten Game möglichst wenige Familien wieder. Für sie ist es eine Chance mehr. Nur eine Chance.
Den Pakistani würden wir auch gerne Smartphones geben. Die Zahl überfordert uns aber. Wir erklären es, weil wir natürlich gefragt werden. Der am besten englisch sprechende Pakistani gibt einen überraschenden Hinweis. Sie seien gut organisiert und hätten ein System. Wenn sie ein Smartphone besitzen, dann darf es jeder für eine Stunde nutzen und gibt es dann an den Nächsten weiter. Wir versprechen, in zwei Tagen mit einem Smartphone wiederzukommen.
Was wäre passiert, wenn uns die Familienväter bedrängt und gebettelt hätten? Hätten wir dann vielleicht entschieden, nur ein oder kein Smartphone organisieren zu können? Gleiches bei den Pakistani. Wie hätten wir entschieden?
Es ist gut, dass wir nicht spezialisiert sind. Denn dann hätten wir klare Regeln, die unser Leben erleichtern. So haben Katja und ich nur einen groben Leitfaden.
Wir werden den Familien nicht alle vier Tage neue Smartphones kaufen können. Einmal schon. Sie sind vorher irgendwie bis hierher gekommen und sie werden auch nach unserer Anwesenheit Wege suchen müssen. Dieses eine Mal war es einfach nur Glück für sie.
Es beeindruckt mich sehr, wie sehr Ihr Euch einsetzt und Euch auch immer wieder hinterfragt. Unglaublich, wie Politik mit Menschen umgeht und das hier in Europa.
Vielen Dank für Eure Hilfe! Auch wenn nur wenig möglich ist, setzt Ihr doch für Viele ein Zeichen der Menschlichkeit.
Kommt gut wieder Heim!
Herzlich Veronika