Diese Fragen stellen manchmal solidarische Menschen an diejenigen, die sich auf den langen Weg nach Europa in eine bessere Zukunft machen. Gestern ist auch uns diese Frage gestellt worden. Und das kam so:
Am Morgen haben wir uns mit Alma von der Nichtregierungsorganisation (NRO) Rahma getroffen. Sie hat eine bosnische Soli-Gruppe gegründet, die mit vielem hilft, was hier gebraucht wird. Sie ist gut vernetzt mit anderen NROs und Soli-Personen und bringt uns in Kontakt mit einer bosnischen Frau aus Buzim (sie wird von den Flüchtenden hier „Mama“ genannt. Wir veröffentlichen ihren Namen an dieser Stelle nicht). Sie spricht ein wenig englisch und lädt uns zusammen mit ihrem Mann zu ihrer Familie nach Hause ein. Dort erwartet uns eine redegewandte 10-Jährige, die im wunderbarsten englisch (durchs fernsehen gelernt) anfängt mit uns zu plaudern.Wir erzählen ihr, dass wir aus Deutschland kommen und was wir zuhause so tun. Dann traut sie sich zu fragen: „Warum mußtet ihr flüchten?“
Ihr Erfahrungsschatz mit People on the move ist sehr hoch. Regelmässig kommt jemand zum Duschen zur Familie. Sie scheint viele Gespräche mit diesen Menschen aus aller Welt zu führen und diesmal dachte sie halt, jetzt seien mal Flüchtlinge aus Deutschland gekommen. Vielleicht (und hoffentlich?) wird diese Frage zum ersten und letzen Mal an uns gerichtet, aber sie zeigt, wie schnell jede*r von uns zum Flüchtling werden kann.
Nachmittags treffen wir uns mit einer anderen bosnischen Soliperson, dessen Name auch hier ungenannt bleiben wird. Er organisiert eine Übersetzerin für uns und wir fahren mit zwei PKW von Buzim Richtung Nord-Osten. In einem verlassenen kommunalen Gebäude sind 2 Familien untergekommen. Sie zelten in einen Klassenzimmer, ein alter Bollerofen bringt gut Wärme. Aber draußen stehen sie mit T-shirt und Badelatschen in der recht frischen kühlen Luft. Die bosnische Organisation unseres Guides an diesem Tag, bringt täglich Lebensmittel zu den verschiedenen „Squats“, aber hat keine finanziellen Möglichkeiten für NFI (Non-Food-Items: alles außer Lebensmittel). Wir hören uns die gesundheitlichen Sorgen an und versprechen, am nächsten Tag mit Medikamenten wiederzukommen. Es sind die Rückenschmerzen (häufig bei den männlichen* Reisenden), auf deren Schulter nicht nur der schwere Rucksack, sondern auch die Last für die ganze Familie lastet (nach ihrem eigenen Empfinden) (natürlich tragen auch die Frauen* eine große Last, aber hier manifestieren sich die Beschwerden eher im Unterleib). (Verallgemeinerungen sind blöde, und doch lassen sich irgendwie Beobachtungen aus Erfahrungen mit angekommenen Menschen in Deutschland mit hinzuziehen).
Morgen wollen sie wieder einen erneuten Versuch zur Grenzquerung nach Kroatien wagen. Sie brauchen 10 Paar feste Schuhe, vier Sweatshirts, Strümpfe, zwei Schlafsäcke und einen großen Rucksack.
Auf unserer Rückfahrt treffen wir eine alleinreisende Mutter mit zwei Kinder. Ihr wurde alles Geld und das Handy weggenommen. Da die Orientierung nur über eine App auf dem Handy läuft, ist sie eigentlich völlig aufgeschmissen. Wir bieten ihr Essen aus dem Kofferraum an, aber sie lehnt ab. Wir dürfen sie nicht im Auto mitnehmen, es könnte unserer sofortige Ausreise zur Folge haben und ist vielleicht sogar eine Straftat???? Es fühlt sich beschissen an, dass wir uns den staatlichen Vorgaben beugen. Wir geben ihr 20€ und wünschen ihr alles Gute. Die drei ziehen weiter.
Eine andere Gruppe aus 11 Personen lagert ein Stück weiter am Straßenrand. Die Gesichter sind regungslos. Ein 2-jähriges Kind summt immer die selbe Melodie vor sich in. Die Frauen klagen über Atemnot und Übelkeit. Die Männer seien geschlagen worden von der kroatischen Polizei vor der Rückschiebung (Push-Back). Es ist sehr still. Wir holen Bananen und Äpfel aus dem Kofferraum. Es fehlt die Energie, sie zu essen. Wir setzen uns zu ihnen. Es ist nicht die richtige Zeit zum reden. Einfach da sein. Den Kummer, die Verzweifelung spüren. Nichts gut machen wollen, weil nichts da ist zum gut machen. So viel Hilflosigkeit und Ohnmacht. Da sitzen 7 Erwachsene im Dreck am Rande der Straße, sechs Kinder liegen daneben und alles 1300 km von Meußließen, 1345 km von Gedelitz entfernt (wie weit ist Mallorca entfernt?- ich werde zynisch- gerade nachgeguckt: 2100km). Vor unserer Haustür halten wir Zentraleuropäer Menschen davon ab, eine Heimat zu finden, wir jagen sie durch Wälder (mit Hilfe von privaten Sicherheitsdiensten und Frontex) und dass alles auf europäische Weisung und finanziert durch jeden von uns.
Den Rest des Abends sind wir beschäftigt, die NFI-Sachen zu kaufen und eine Apotheke zu finden, in der wir die Medikamente bekommen (was uns auch gelingt und wo wir extrem freundlich behandelt werden und offen über unsere Arbeit reden können- Danke an eine NRO (auch ungenannt), die uns diese Apotheke empfohlen hat).
Spät abends fällt unser Abendessen aus. Stattdessen gibt es Chips aus der Tüte. Auch lecker.