Wunden

Sonntag, 17.4.2016, 21 Uhr

Der gestrige Tag hat uns noch einiges an Aufregung gebracht. Matthias hat gemeinsam mit dem befreundeten Arzt Joost einen schwerkranken Patienten versorgt. Der junge Mann ist vor mehreren Monaten bei einem Bombenangriff in Syrien schwer verletzt worden. Seitdem ist er querschnittsgelähmt. Die Familie hat im schon vorlanger Zeit eine Dekubitismatratze gekauft, die verhindert, dass er sich wund liegt. Leider benötigt sie 230 Volt, die es im Camp nicht gibt, sodass er nun wundgelegene Stellen hat. Zu allem Überfluss ist ihm vor ein paar Tagen kochendes Wasser über die Füße gelaufen, sodass er nun auch dort großflächige Verletzungen hat. Er hat viele offene großflächige Wunden und ist vollständige auf die pflegerische Versorgung seiner Familie und auf die Notfallversorgung der hiesigen Hilfsgruppen angewiesen. Über 2 Stunden wird er von beiden versorgt. Katja verteilt in der Zwischenzeit Weleda-Öle, Salben und Shampoo an Familien mit Kindern. (Weleda hat drei riesige Kartons mit diesen drei Produkten für unsere Reise gespendet. Nicht die kleinen Probepackungen, die wir Hebammen regelmässig beziehen, sondern die richtig großen Verkaufspackungen.)

Gerade als wir fahren wollen, werden wir zu einem Notfall gerufen. Eine junge Frau hat versucht, sich umzubringen. Jost und Matthias stabilisieren die bewußtlose Frau (emotional wie medizinisch), Katja verständigt den Krankenwagen, lässt die Zufahrt zum Zelt von Brennholz frei machen, hakt noch zweimal bei der Leitzentrale nach und kann dann endlich nach 45 Minuten mit einer starken Taschenlampe (Technik ist manchmal lebensrettend) den verunsicherten Krankenwagenfahrer zu dem Zelt lotsen. Die junge Frau wird in eine kleine medizinische Einheit in Polykastro gebracht. Sie überlebt. Am Vormittag hat sie sich selbst entlassen und sich zu Fuß auf den Weg zurück ins Camp gebracht. Dort trifft sie erneut auf Jost und Matthias, die wieder den Schwerkranken versorgen und bedankt sich herzlich.

Sebastian hat heute die Ausgabe der Vokü (Gemeinschaftsküche) im großen Camp von Idomeni unterstützt. Bevor es losging wurden alle Volunteers eingewiesen in die Abläufe. Wichtig war vor allen Dingen, dass das Essen schnell ausgegeben wird, damit die Leute nicht so lange anstehen müssen. Aber auch diejenigen, die für das Bilden von einer Frauen- und einer Männerschlange vor der Essensausgabe verantwortlich sind, müssen immer wieder eingreifen, wenn Menschen sich vordrängeln. Eigentlich finden alle es sinnvoll, das eine Reihe gebildet wird. Es gibt dann weniger Schubserei und auch vulnerable Menschen (so werden hier Schwangere, Menschen mit Babys auf dem Arm, alte oder behinderte Menschen bezeichnet) haben eine Chance auf Essen. Am heutigen Tag gab es viele Küchen, so daß sogar noch Essen übrig ist.

15.4.2016: Die unabhängigen Volunteers von Polykastro veröffentlichen folgende Mitteilung:

Jetzt ist es stockfinster draußen, angenehme 20 Grad und wieder Mal ist Kistenräumen dran. Wir übernehmen einiges an medizinischen Equipment von Jost, der bald abreisen wird und müssen immer wieder neu, unsere Kisten mit Verbandsmaterial, Medikamenten, Pflege- und Hygienartikel, Wolldecken und gefühlten 1000 anderen unterschiedlichen Produkten sortieren.

Die Situation hier vor Ort in Bezug auf die Schuldzuweisung an Aktivist_innen für Aktionen der Geflüchteten hat sich leicht verbessert. Die Kontrollen durch die Polizei sind höflich und dienen anscheinend nur der namentlichen Erfassung der Helfer_innen. Es wirkt nicht sehr schikanös oder einschüchternd.